Die Tierkunde der Wissenschaft (2004)

 

 

     
 

Betrachten wir einmal die Welt, so wird schlagartig klar, dass sie aus Affen, Vögeln und Hunden besteht. An dieser Stelle möchte ich diese Einsicht erstmal nur durch kurze persönliche Erfahrungsberichte dem geneigten Leser zuteil werden lassen. Unkürzlich buk man in meinem freundschaftlichen Umfeld Kuchen zu verschiedenartigen Anlässen. Inwieweit dabei meine Rolle stärker beobachtend-kommentierender oder teilnehmend-schaffender Natur war, soll nun vernachlässigt werden, um den Blick auf den Backvorgang an sich zu schürzen. Aus denselben Gründen bezeichne ich auch als Personen A, B und C jene, die die Vollendung eines Kuchens in die Wege leiteten oder zumindest maßgeblich daran beteiligt waren. Es ist wahrscheinlich für die Betroffenen sowieso von Vorteil, weder namentlich aufgeführt, noch durch verräterische Persönlichkeitsbeschreibungen in diesem Kontext wiedererkennbar zu werden. Auch soll hier nicht näher auf die allgemeinen Tätigkeiten eingegangen werden, die dem Kuchenbacken zuträglich und bei allen drei Personen in ähnlicher Weise vorhanden sind. Bei der Teigbearbeitung z.B., können wir natürlich bei jeder dieser Spezies stark knetende Bewegungen, die zur Zubereitung des Teiges nötig sind, ausmachen. Dies scheint allerdings einer ausführlichen Erörterung nicht Wert zu sein, da es für den Erkenntniszweck belanglos ist. Doch soll sich im Folgenden auch nicht in der haarspalterischen Beschreibung von Eigentümlichkeiten verloren, sondern stattdessen auf eine Auflösungsebene abstrahiert werden, die es einerseits erlaubt, hinreichend zwischen den oben erwähnten Akteuren zu unterscheiden, ohne jedoch andererseits die durch den Vergleich möglich gewordene Allgemeingültigkeit der Beobachtungen aus dem Auge zu verlieren. Möchten wir nämlich die eigentlichen Absichten und Antriebsgründe dieser Menschen verstehen, müssen wir sozusagen zwischen den Backblechen die charakteristischen Spielarten ihrer Handlungsweisen, die der jeweiligen Gattung des Akteurs zueigen sind, herauslesen.

 
     

 

     
 

Man führe sich also bitte Person A vor Augen, die zum Geburtstage der Person K einen Geburtstagskuchen anfertigt. Dabei ist ihre Lautgebung eher trällernder und ihr Zutatenmischverfahren leichthändiger Färbung. Nicht nur, dass A eine gewisse Routine durch häufige Back- und Zubereitungstätigkeiten erlangt hat; A weiß auch, ihr Treiben ist zu einem bestimmten Zweck, nämlich zur Beglückung Ks, was ihre Laune und Vorgehensweise beträchtlich beschwingt. Wichtig ist hier nicht das alleinige Auftauchen dieser Rechtfertigung des eigenen Handelns in genau diesem bestimmten Moment. Vielmehr ist es die Tatsache, dass A mit hoher Wahrscheinlichkeit als erstes genau dieser (oder ein sehr verwandter) Grund bei einer ganzen Klasse von Handlungen dieser Art durch den Kopf schösse, dächte sie nur immer soviel über ihr eigenes Tun nach. Man spricht in der Fachwelt von ‚Framing’ (engl. für Einrahmung), um auszudrücken, dass hier ein ganzes Gefüge an Vor- und Einstellungen mit der Wahrnehmung des eigenen Verhaltens in Verbindung und so in einen sinnhaften Zusammenhang gebracht werden. Dieses Selbstverständnis der eigenen Handlung schlägt sich in ihrem Gesamtverhalten nieder. 

 
     

 

     
 

Der Leser sei nun gebeten seine wertvolle Aufmerksamkeit auf eine Backsituation mit Person B als Hauptakteur zu lenken. Einschüchternd frappierend ist zu beobachten mit welcher Hingabe zum Detail Person B die extrem knifflige Schichtung verschiedener Creme-, Teig- und Früchtelagen mit einer äußerlich ansprechenden Formgebung des Kuchens verbindet. Wir merken gleich: Person B ist intrinsisch motiviert! Das fällt ihr und ihresgleichen nicht schwer. Für welchen Zweck auch immer der Kuchen wäre, stundenlange Hingabe an einer möglichst gelungenen Vollendung des Werkes sind bei Person B beinahe garantiert. Aber wehe jemand verletzte das Backwerk - dann, so kann man sich vorstellen, ist der Teufel los. Ganz gleich, ob es sich bei dem Wüstling um eine geburtstagsfeiernde Person K oder die eigenen Eltern handelt, Person B holte zu einem ernsthaft ärgerlichen Tadel aus, bei dem sie sogar ihre sozialen Beziehungen auf’s Spiel setzte, um den Kuchen zu rächen. Wir verstehen: Der Kuchen ist bei Person B Zweck an sich. 

 
     

 

     
 

Wir haben also noch eine der beiden Kuchen backenden Personen A oder B vor Augen. Szenenwechsel: Neue Situation, neuer Kuchen, eine der beiden o.a. Personen auf dem Gipfel ihrer Schaffensphase (welche ist hier erstmal unwichtig) umrundet von potentiellen Helfern und Unterhaltern. Person C ist anwesend. Sie steht in der nord-östlichen Ecke der Küche lässig-unkonzentriert auf die Arbeitsplatte gestützt und labt sich an ihren eigenen teils spöttischen Kommentaren. Dies gibt sie durch lautes Lachen kund, etwa ‚waahaahaa’. Erst als sie nach mehrmaliger freundlicher Aufforderung durch ihre soziale Umwelt, nun mit grimmigem Nachdruck und unter körpersprachlichen Androhungen freundschaftlichen Liebesentzugs fast dazu genötigt wird, macht sie sich endlich daran, sichtbar unbeholfen und zäh die Glasur auf das Backwerk zu tragen. Man beachte: erst als klar ist, dass sie mit ihren blödsinnigen Gackerwitzen hier definitiv nicht landen kann, macht sich Person C verdrießlich an die ihr - von Anfang an - zugedachte Aufgabe. Wir müssen allerdings gestehen, dass, was nun verachtete Späße sind, noch vor kurzem die Anwesenden sehr gut bei Laune zu halten vermochte. Man hätte beinahe gedacht, Person C sei der geborene Alleinunterhalter. Stets wusste sie mit gelungenen Pointen die Aufmerksamkeit ihrer Mitmenschen an sich zu reißen und so ihre eigene Laune auf die Anwesenden zu übertragen. Was war passiert? Es wäre kindisch zu mutmaßen, ein einziger schlechter Witz hätte einem Lauf schlechter Witze den Weg bereitet. Nein, es muss klar erkannt werden, dass sich die Anforderungen der Umwelt derart zuspitzten, dass Produktivität und Effektivität über Fragen der guten Laune Oberhand bekamen und daher nach Abhilfe schrieen.

 
     

 

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