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Farbensehen beim Menschen

Karl R. Gegenfurtner

Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik

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1 Einleitung

Farbe wird üblicherweise definiert als diejenige Empfindung, die es uns ermöglicht, zwischen zwei strukturlosen Flächen gleicher Helligkeit zu unterscheiden. Es lohnt sich, auf zwei Aspekte dieser Definition gleich zu Anfang näher einzugehen. Zunächst ist wichtig, daß Farbe eine Empfindungsgröße ist. Es ist nicht das Licht, das farbig ist ("The rays are not coloured" - Isaac Newton). Das Licht wird zunächst im Auge in Nervenimpulse gewandelt. Erst durch die Verarbeitung im Gehirn kommt es zu der Empfindung, die wir ``Farbe'' nennen. Der zweite wichtige Aspekt der obigen Definition betrifft die Funktion des menschlichen Farbensehens. Obwohl die Frage nach der Funktion des Farbensehens noch heftig umstritten ist, so läßt sich doch mit Klarheit sagen, daß diese nicht hauptsächlich in der Unterscheidung von Flächen gleicher Helligkeit liegt. Zum einen tauchen solche Unterschiede in unserer Umgebung nur äußerst selten auf. Zum anderen konnte in zahlreichen Untersuchungen in den letzten 20 Jahren gezeigt werden, daß für das menschliche visuelle System die Unterscheidung von Flächen gleicher Helligkeit (``Isoluminanz'') eine relativ schwierige Aufgabe darstellt. Das Farbensehen scheint eher für die Objekterkennung und Bildsegmentierung wichtig zu sein. Abbildung 1 veranschaulicht, wie Farbinformation die Bildsegmentierung unterstützen kann.

Abb. 1: Photographie einer Szene mit Blumen. Links das Original, in der Mitte eine Schwarz-weiß-Version, rechts eine isoluminante Version, bei denen allen Bildpunkten dieselbe Helligkeit zugeordnet wurde.

Farbe wird daher besser definiert als diejenige Empfindung, die es uns erlaubt, Objekte leicht voneinander zu unterscheiden, die auf Grund ihrer Helligkeitsverteilungen (Textur) nur schwer unterscheidbar sind. Fast alle Objekte unserer Umwelt weisen unter natürlichen Beobachtungsbedingungen eine unregelmäßige Helligkeitsverteilung auf. Es ist oftmals sehr schwer, Texturen natürlicher Objekte voneinander abzugrenzen, z.B. wenn wie bei Abb. 1 eine Blüte von Blättern unterschieden werden soll. Die Farbinformation ermöglicht uns, diese Unterscheidungen schnell und effizient zu treffen.

Im folgenden wird zunächst auf die physikalischen Eigenschaften der Reize eingegangen, die im visuellen System Farbempfindungen auslösen. Dann werden die wichtigsten Schritte der Verarbeitung in der Netzhaut durch die drei Typen von Photorezeptoren und in den anschließenden Gegenfarbkanälen besprochen. Schließlich wird auf die Verarbeitung der Farbinformation im visuellen Kortex eingegangen, über die allerdings bisher nur relativ wenig bekannt ist. Während die ersten Stufen der Farbverarbeitung in der Netzhaut und den retinalen Ganglienzellen besser als jeder andere Aspekt der visuellen Wahrnehmung erforscht sind, ist über höhere Verarbeitungsmechanismen, die semantische oder emotionale Aspekte der Farbe betreffen, so gut wie gar nichts bekannt.

2 Licht und Farbe

Die physikalische Grundlage für die Farbwahrnehmung ist elektromagnetische Strahlung mit einer Wellenlänge in einem eng umgrenzten Bereich von ca. 400 bis 700 Nanometer. Licht dieser Wellenlänge ist nur deshalb sichtbar, weil wir Rezeptoren besitzen, deren Pigmente durch Strahlung dieser Wellenlänge chemisch verändert werden können. Strahlung mit diesen Wellenlängen unterscheidet sich ansonsten in keiner Weise von anderen Strahlungen, wie z.B. Radiowellen, Infrarot-, Ultraviolett-, Röntgen- oder Gammastrahlen. Allerdings liegt ein Großteil der Sonnenstrahlung, die die Erdoberfläche erreicht, in diesem Bereich. Unser Farbsehsystem sich also im Laufe der Entwicklung optimal an die Gegebenheiten unserer Umwelt angepaßt.

Das Spektrum des in das Auge fallenden Lichts hängt von zwei Faktoren ab. Von der Spektralverteilung der Beleuchtungsquelle, und von der Reflektanz der Objekte, über die das Licht ins Auge reflektiert wird. Nur ein Teil des auf ein Objekt fallenden Lichts wird reflektiert. Der andere Teil der Strahlung wird absorbiert und in Wärmeenergie umgewandelt. Dunklere Objekte absorbieren mehr Licht und erwärmen sich daher stärker. Das ins Auge gelangende Licht ist das Produkt aus Beleuchtung und Reflektanz, so daß diese beiden Faktoren anschließend nicht mehr getrennt werden können. Eine mittlere Helligkeit kann gleichermaßen durch ein helles Licht auf ein dunkles Stück Papier, oder durch ein schwaches Licht auf ein weißes Stück Papier, erzeugt werden. Obwohl mathematisch beides zur gleichen Helligkeit führt, kann unser visuelles System zumeist doch Rückschlüsse auf die Reflektanz der Objekte ziehen. Diese Leistung, die durch die Ambiguität von Beleuchtung und Reflektanz notwendig wird, wird "Farbkonstanz" genannt. Wir werden später darauf zurückkommen. Der Vorteil der Farbkonstanz liegt darin, daß die Reflektanz eine invariante Eigenschaft der Objekte ist, und sich daher zur Objekterkennung sehr gut eignet.

3 Verarbeitung in den Photorezeptoren

Im Auge wird das Licht von Photorezeptoren absorbiert. Es gibt zwei Klassen von Photorezeptoren: Stäbchen und Zapfen. Stäbchen sind sehr lichtempfindlich und ermöglichen das Sehen bei Dunkelheit und in der Dämmerung. Da alle Stäbchen dieselbe spektrale Absorption aufweisen, können sie nicht zwischen Wellenlängen- und Intensitätsunterschieden diskriminieren. Farbunterscheidungen sind daher beim Stäbchensehen nicht möglich. Bei Tageslichtbedingungen sind die Stäbchen vollständig gesättigt und unfähig Information zu verarbeiten. Dann sind die weniger empfindlichen Zapfen aktiv. Es gibt drei verschiedene Arten von Zapfen. Nach dem Spektralbereich ihrer höchsten Empfindlichkeit werden sie lang-, mittel-, und kurzwellenlängen-sensitiv genannt, oft auch nur kurz Rot-, Grün- und Blauzapfen. In Abbildung 2 sind die Absorptionsspektren dieser drei Zapfenarten dargestellt. Man erkennt, daß alle drei Typen über einen großen Wellenlängenbereich hinweg Licht absorbieren. Die Kurzbezeichnungen sind also irreführend, vor allem wenn man berücksichtigt, daß das Maximum für die Rotzapfen in dem Wellenlängenbereich liegt, den wir als gelb Bereich wahrnehmen. Das Maximum der Blauzapfen liegt in einem Bereich, der eher violett aussieht als blau. Da sich diese Bezeichnungen aber eingebürgert haben, werden wir sie hier der Einfachheit halber auch beibehalten. Es mußaber nachdrücklich betont werden, daß andere mit R, G, B bezeichnete Systeme, wie z.B. das C.I.E. RGB System, oder auch die Rot-, Grün- und Blauphosphore von Farbbildschirmen nichts oder nur sehr wenig mit den Absorptionseigenschaften der Zapfen gemeinsam haben.

Abb. 2: Spektrale Absorptionskurven der menschlichen Rot-, Grün- und Blauzapfen.

Aus Abbildung 2 ist auch ersichtlich, daß die Absorptionsspektren für die Rot- und Grünzapfen sehr ähnlich sind. Die Absorptionsgipfel sind nur um 30 Nanometer verschoben. Dies hat evolutionäre Gründe: diese zwei Zapfentypen sind erst vor entwicklungsgeschichtlich relativ kurzer Zeit aus einem gemeinsamen Urzapfen entstanden. Die Absorption der Zapfen hängt von ihrem Sehfarbstoff ab, dessen Proteine genetisch bestimmt sind. Jeremy Nathans und seinen Mitarbeitern ist es gelungen, die Gene zu identifizieren, die die Ausbildung dieser Proteine kodieren [6]. Dabei hat sich herausgestellt, daß sich die Aminosäuresequenzen für das Rot- und das Grünpigment nur an wenigen Stellen unterscheiden (< 2%).

Ein wesentlicher Grund dafür, daß die Genetik des Farbensehens so gut erforscht ist, liegt darin, daß sich die Gene für die Rot- und Grünpigmente auf dem X-Chromosom befinden. Daher ist Rot-Grün-Blindheit auch bei Männern, die ja nur ein X-Chromosom besitzen, sehr viel häufiger als bei Frauen. Circa 2% aller Männer sind rot-grün-blind, und weitere 4-6% weisen eine Rot-Grün-Schwäche auf. Interessanterweise wird eine solche Farbenblindheit oftmals erst sehr spät oder nur zufällig bemerkt. Der entscheidende evolutionäre Vorteil der sich aus dem dritten Zapfentyp ergibt ist noch weitgehend unklar! Es gibt mehrere Hypothesen wonach sich die Unterscheidungsfähigkeit zwischen rot und grün hauptsächlich zum Auffinden reifer roter Früchte zwischen grünen Blättern eignet. Es ist aber mittlerweilen erwiesen, daß sich für Rot-Grün-Blinde die Struktur von natürlichen Szenen nicht wesentlich von der für normal Farbsichtige unterscheidet. Andere Formen der Farbenblindheit treten äußerst selten auf. Auf diese soll hier nicht eingegangen werden.

4 Die Netzhaut

Die Zapfen sind auf der Netzhaut zu einem unregelmäßigen Mosaik angeordnet. Die Dichte ist in der Fovea am höchsten und nimmt zur Peripherie hin ab. In der Foveola (den zentralen 30') befinden sich nur Rot- und Grünzapfen auf. Blauzapfen gibt es nur in der peripheren Retina, aber auch dort treten sie mit einer geringeren Dichte auf. Sie machen insgesamt nur 9% aller Zapfen aus. Da die Sehschärfe von der Dichte der Zapfen abhängt, ist die Auflösung für Muster, die gezielt Blauzapfen anregen, relativ gering. Diese geringere Auflösung wiederum scheint aber perfekt an die Optik des Auges angepaßt zu sein. Da Licht unterschiedlicher Wellenlänge nicht gleichzeitig auf der Netzhaut fokussiert werden kann, entsteht bei kurzwellenlängigem Licht eine retinale Unschärfe, die dem größeren Abstand zwischen den Blauzapfen entspricht. Das Zapfenmosaik ist auch in anderer Hinsicht sehr gut der Optik des Auges angepaßt. Die Dichte ist nirgends größer als aufgrund des optischen Signals notwendig. Dort wo sie geringer ist (in der Peripherie), sorgt die unregelmäßige Anordnung dafür, daß keine Wahrnehmungstäuschungen (durch ``Aliasing'') entstehen.

Abb. 3: Simulation des Zapfenmosaiks auf der Netzhaut. Die Positionen der Zapfen entstammen anatomischen Messungen. Die Einfärbung wurde nach einem Zufallsschema durchgeführt unter der Annahme, daß Rotzapfen ca. doppelt so häufig sind wie Grünzapfen. [Die Abbildung wurde freundlicherweise von Herbert Jaegle und Ted Sharpe von der Augenklinik Tübingen zur Verfügung gestellt]

Unsere Netzhaut ist invers gebaut, die photopigmenthaltigen Anteile der Rezeptoren befinden sich im innersten Teil der Netzhaut. Die äußerste, dem Licht zugewandte Schicht wird von den Ganglienzellen gebildet. Das Signal wird von den Rezeptoren über Bipolar- und Horizontalzellen an die Ganglienzellen weitergeleitet. Die Ganglienzellen werden zum optischen Nerv zusammengefaßt. An der Stelle, an der der optische Nerv aus dem Auge austritt, befinden sich daher keine Photorezeptoren. Daher können wir an dieser Stelle - dem blinden Fleck - nichts sehen. Natürlich soll daher der blinde Fleck möglichst klein gehalten werden. Dieses Problem bewältigt das visuelle System, indem in der peripheren Netzhaut viele Zapfen auf eine einzige Ganglienzelle projizieren, während nur in der Fovea ein 1:1 Verhältnis von Zapfen und Ganglienzellen besteht. Die räumliche Auflösung in der Peripherie ist zwar dadurch schlechter, aber die Dicke des Sehnervs und somit die Gr¨oße des blinden Flecks wird minimiert. Auch das Farbensehen in der Peripherie ist durchaus möglich. Die Reize müssen nur ausreichend großsein.

5 Laterale Hemmung

Die von den Zapfen übermittelten Signale werden noch in der Netzhaut weiterverarbeitet. Diese Verarbeitungsstufe läßt sich am besten als eine Verminderung der Redundanz der Aktivitäten benachbarter Zapfen charakterisieren. Die Zapfensignale weisen sowohl eine räumliche als auch eine farbliche Redundanz auf.

Räumliche Redundanz bezeichnet den Sachverhalt, daß benachbarte Bildpunkte oftmals eine ähnliche Intensität aufweisen. Aus der Intensität an einem Bildpunkt läßt sich relativ genau die Intensität der benachbarten Bildpunkte vorhersagen. Werden hingegen die Differenzen zwischen benachbarten Bildpunkten betrachtet, so verschwindet diese Korrelation. Diese Art der vom visuellen System durchgeführten Differenzenbildung wird oftmals auch als ``laterale Hemmung'' bezeichnet. Implementiert ist dies durch die konzentrischen rezeptiven Felder der Ganglienzellen, in denen Zentrum und Umfeld antagonistisch organisiert sind.

Eine Folge davon sind eine Reihe von allseits bekannten Phänomenen, wie z.B. Mach-Bänder. Da durch die Differenzenbildung die absolute Intensität verlorengeht, spielen Intensitätsunterschiede an Kanten eine besondere Rolle. Dies zeigt sich besonders deutlich beim Craik-O'Brien-Cornsweet (COC) Effekt, dargestellt in Abbildung 4. Abbildung 4A zeigt die übliche Darstellung des COC-Effekts. Beide Flächen weisen dieselbe Rampe im Grauwertverlauf auf. Die rechte Fläche wird aber als heller wahrgenommen, weil sie an der gemeinsamen Kante heller ist.

Abb. 4: Craik-O'Brien-Cornsweet Effekt und seine Beeinflußung durch die Interpretation von Beleuchtungs- und Reflektanzeffekten. [Diese Abbildung wurde freundlicherweise von Dan Kersten von der Universität Minnesota zur Verfügung gestellt.]

Interessanterweise lassen sich aber nicht alle Helligkeitsillusionen vollständig durch laterale Hemmung erklären. Es scheint so zu sein, daß die Helligkeitskonstanz für die wahrgenommene Helligkeit (lightness versus brightness) eine große Rolle spielt. Wie eingangs erklärt, kann aus der Helligkeit nicht eindeutig die Reflektanz von Objekten abgeleitet werden. Dennoch scheinen Schlußfolgerungen über die Reflektanz unsere wahrgenommene Helligkeit zu beeinflussen. Den Helligkeitsgradienten beim COC-Effekt kann man z.B. erzielen, indem man zwei unterschiedlich reflektierende Flächen seitlich beleuchtet, wie in Abb. 4A. Man könnte aber auch zwei Zylinder beleuchten, was in Abb. 4B durch die abgerundeten Randflächen nahegelegt wird. In diesem Fall wäre die Ursache des Gradienten die Änderung der Oberflächennormalen, und nicht die unterschiedliche Reflektanz. Dies korreliert mit unserer Wahrnehmung. Die beiden Flächen in Abb. 4B werden nicht als unterschiedlich hell wahrgenommen [2].

6 Gegenfarben

Nun aber zur anderen Form der Redundanz in den Zapfen. Da die Absorptionsspektren der Rot- und Grünzapfen sehr ähnlich sind, ist die Aktivität der beiden Zapfentypen hoch korreliert. Um diese Signale zu dekorrelieren, wird nun die Aktivität in sogenannten Gegenfarbkanälen weitergeleitet. Im Helligkeitskanal wird die Summe aus Rot und Grün gebildet, im Rot-Grün-Kanal die Differenz der beiden. Im Blau-Gelb-Kanal schließlich wird die Differenz aus dem Signal der Blauzapfen und der Summe der Rot- und Grünzapfen gebildet. Diese Verrechnung der Farbsignale erfolgt in einem Netzwerk aus Horizontal-, Bipolar- und Ganglienzellen. Während über die Ergebnisse dieser Berechnung relative Klarheit herrscht, ist die genaue Implementierung derzeit Gegenstand heftiger Diskussion.

Die Einteilung der Signalverarbeitung in zwei Zonen, der anfänglichen Verarbeitung in drei verschiedenen Zapfentypen, gefolgt von drei Gegenfarbkanälen, vereint die Theorien der Farbwahrnehmung von Helmholtz und Hering. Allerdings hatten beide dieser eminenten Forscher nicht ganz recht, was die Details betrifft. So nahm Helmholtz an, daß die Absorptionsspektren der Zapfen sich nur geringfügig überlappen, was für die Rot- und Grünzapfen gerade nicht zutrifft. Hering nahm an, daß die Gegenfarben den sogenannten Urfarben entsprechen, also denjenigen Farben, die von uns als reines Rot, Grün, Blau, oder Gelb wahrgenommen werden. Auch dies ist nicht richtig. Während das Rot der kardinalen Farbrichtungen (siehe Abb. 5) der Ganglienzellen in etwa einem Urrot entspricht, sieht die Gegenfarbe dazu bläulich grün aus. Der Blau-Gelb-Kanal ist ebenfalls verschoben: dem reinem Gelb entspricht ein grünlicher Gelbton und dem Blau ein Violett. Abbildung 5 zeigt wie die Gegenfarbkanäle aktiviert werden.

Abb. 5: Verarbeitung in den Gegenfarbkanälen. Links das Original, in der Mitte das Bild, wie es vom Rot-Grün-Kanal gesehen wird. Rechts das Bild, wie es vom Blau-Gelb-Kanal gesehen wird.

Eine wichtige Implikation der Gegenfarbkanäle ergibt sich aus der starken Überlappung der Absorptionsspektren von Rot- und Grünzapfen. Es ist sehr schwierig, den Rot-Grün-Kanal so zu aktivieren, daß die Differenz von Rot und Grün sich ändert, aber die Summe (die Helligkeit) konstant bleibt. Die größtmögliche Modulation der Zapfensignale bei einer solchen "isoluminanten" Reizung bleibt daher weit hinter der 100%-igen Modulation zurück, die durch Helligkeitskontraste bewerkstelligt werden kann. Auf Bildschirmen beträgt diese maximale isoluminante Modulation bei mittleren Intensitäten nur ca. 10-15%! An dieser Stelle ist es auch wieder wichtig, auf den Unterschied zwischen Zapfen und Bildschirmphosphoren hinzuweisen. Letztere können nämlich auch bei Isoluminanz zu 100% moduliert werden. Für das Studium des visuellen Systems ist das allerdings irrelevant.

Für die folgende Diskussion der Wahrnehmungsleistungen des Farb- und Helligkeitssystems ist es allerdings sehr wichtig, solche peripheren Faktoren von zentralen Unterschieden in der Verarbeitung zu trennen. Wie eingangs erwähnt, ist über die Verarbeitung von Farbe im Kortex relativ wenig bekannt. Ich werde zunächst auf das Zusammenspiel von Farbe mit anderen visuellen Reizattributen eingehen, dann auf die Verarbeitung des Farbsignals an sich. Als Abschlußfolgen einige Bemerkungen zur Farbkonstanz.

7 Farbe und Form

Das Erkennen von Formen und Strukturen ist bei ausschließlich durch Farbe definierten Reizen sicherlich anders als bei Helligkeitsmustern. Dies läßt sich schon aus den oben erwähnten peripheren Faktoren folgern. Der höchstmögliche Kontrast im Rot-Grün-Kanal ist wegen der großen Ähnlichkeit von Rot- und Grünzapfen sehr stark eingeschränkt. Wegen optischer Limitierungen (chromatische Aberration) können hohe Ortsfrequenzen vom Farbsystem nicht übertragen werden. Letzteres wird auch bei der Übertragung von Farbfernsehbildern ausgenutzt, wo die Farbinformation mit einer sehr viel geringeren Bandbreite gesendet wird.

Die sich aus peripheren Faktoren ergebende Beeinträchtigung wurde oftmals als eine zentral bedingte Trennung der Verarbeitung von Form und Farbe interpretiert. Als Beispiele dafür dienten Bilder, in denen, wenn sie isoluminant dargeboten werden, Form und räumliche Tiefe nahezu vollständig verlorengehen [4,5]. Interessanterweise aber kann man einen ähnlichen Effekt erzielen, indem man dieselben Reize schwarz-weißmit einem geringen Helligkeitskontrast darbietet. Der Effekt ist also nur zu einem geringen Teil durch die kortikale Verarbeitung bedingt.

8 Farbe und Bewegung

Ähnliches gilt für die Verarbeitung von Farbe und Bewegung. Die Trennung dieser beiden visuellen Attribute galt lange Zeit als der Eckpfeiler der Theorie der parallelen Verarbeitungswege [4,5]. Die Evidenz dafür, daß das Bewegungssehsystem farbenblind ist, schien überwältigend. So werden sich langsam bewegende ( < 2 Grad/Sekunde) isoluminante Gitter im Vergleich zu einem schwarz-weißen Vergleichsgitter derselben physikalischen Geschwindigkeit als ca. 50% langsamer wahrgenommen. Dies gilt jedoch nicht für Gitter mittlerer oder hoher Geschwindigkeit. Mittlerweilen hat sich gezeigt, daß nur die subjektive Geschwindigkeit, nicht aber die Wahrnehmung der Bewegungsrichtung langsamer isoluminanter Muster eingeschränkt ist. Für die Bewegungsrichtung ist die Sensitivität bei isoluminanten Mustern sogar höher! Bei schneller bewegten Gittern, die in einem anderen Kanal verarbeitet werden, ergeben sich keinerlei Beeinträchtigungen [1].

9 Kortikale Verarbeitung

Über die kortikale Verarbeitung von Farbe im visuellen Kortex ist bisher leider nur sehr wenig bekannt. Während Neurone in der Netzhaut und im lateralen Kniehöcker die kardinalen Farbrichtungen (siehe Abb. 5) bevorzugen, finden sich in V1 und höheren Gebieten auch andere Farbpräferenzen. Dabei scheinen Präferenzen aller möglichen Farben vorzukommen. Eine Bevorzugung der sogenannten Urfarben wurde noch nicht nachgewiesen. Es gibt Hinweise dafür, daß in sekundären und tertiären Hirnarealen wie V2 und später dann in V4 manche Neurone ganz speziell auf bestimmte Farben reagieren. Im Hinblick auf die Verarbeitung anderer Reizattribute scheinen sich diese Neurone von anderen nicht zu unterscheiden. Neurone, die auf isoluminante Reizunterschiede antworten, wurden in den höheren, extrastriären Gebieten selten gefunden. Da solche Unterschiede, wie schon eingangs erwähnt, nicht sehr oft in unserer Umwelt vorkommen, wäre eine Spezialisierung auf die Verarbeitung dieser Reize auch nicht sehr sinnvoll.

10 Farbkonstanz

Ein Thema, das Wahrnehmungsforscher und Informatiker in jüngster Zeit gleichermaßen stark interessiert hat, ist die Farbkonstanz. Wie eingangs erwähnt, lassen sich Beleuchtung und Reflektanz nicht trennen, da das auf die Rezeptoren fallende Licht das Produkt beider Faktoren ist. Trotzdem scheint es uns möglich zu sein, Objekte unter sich wechselnden Beleuchtungsbedingungen immer mit der gleichen Farbe wahrzunehmen. Eine Unmenge an Algorithmen wurde vorgeschlagen, um diese Farbkonstanz zu erklären. Es würde den Rahmen dieses Vortrags sprengen auf diese im Detail einzugehen. Wichtig ist allerdings, daß zunächst einmal das menschliche Sehsystem keineswegs vollständig farbkonstant ist. Messungen ergaben eine Farbkonstanzleistung zwischen 25% und 75%, allerdings mit unnatürlichen Reizen. Das Verwenden natürlicher Reize ist oft notwendig, da das Wissen über die Farbe von Objekten unsere Farbwahrnehmung beeinflußt. Zur weiteren Berechnung dient dann die Tatsache, daß Beleuchtungsänderungen häufig graduell vonstatten gehen, während Reflektanzänderungen meist abrupt sind.

Dieser Unterschied in den räumlichen Eigenschaften von Beleuchtung und Reflektanz kann am besten genutzt werden, wenn größere Flächen für eine Normalisierung benutzt werden. Dies erfordert daher rezeptive Felder mit entsprechender Größe. Neurone mit diesen Eigenschaften wurden in V4 gefunden, und sie scheinen auch relativ komplexe Interaktion von Zentrums- und Umfeldfarbe aufzuweisen. Wie daraus aber dann die Reflektanz von Objekten bestimmt wird, ist noch weitgehend unklar. Neurone, die auf Reflektanz antworten, wurden bislang nur selten und vereinzelt gefunden [7].

Unser spärliches Wissen über die kortikale Verarbeitung von Farbe steht in krassem Gegensatz zu dem detaillierten Wissen über die Eingangsstufen. Dies ist kein Zufall, denn in der Vergangenheit lag die Betonung sehr auf der Erforschung des Farbensehens in Netzhaut und Kniehöcker. Jetzt, wo diese Bereiche fast vollständig erschlossen sind, bleibt es zu hoffen, daß die Erforschung des kortikalen Farbensehens mit ähnlicher Energie und Aufwand angegangen wird.

Referenz [3] gibt eine neuere, interdisziplinäre Diskussion des Themas Farbe.

Literaturverzeichnis

  1. Gegenfurtner K.R. & Hawken M.J. (1996) Interaction of motion and color in the visual pathways [Review]. Trends in Neurosciences, 19, 394-401.
  2. Knill D.C. & Kersten D. (1991) Apparent surface curvature affects lightness perception. Nature, 351, 228-230.
  3. Lamb T. & Bourriau J., Hrgb. (1995) Color: Art & Science. Cambridge University Press, Cambridge, UK.
  4. Livingstone M.S. & Hubel D. (1988) Segregation of form, color, movement, and depth: anatomy, physiology, and perception. [Review]. Science, 240, 740-749.
  5. Livingstone M.S. (1992) Kunst, Schein und Wahrnehmung. In W. Singer (Hrgb.) Gehirn und Kognition. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg.
  6. Nathans, J. (1992) Die Gene für das Farbensehen. In W. Singer (Hrgb.) Gehirn und Kognition. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg.
  7. Zeki S. (1980) The representation of colours in the cerebral cortex. Nature, 284, 412-418.

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Last modified: 14. Feb 1997
Karl R. Gegenfurtner (karl@mpik-tueb.mpg.de)